Wiefelstede, 22. April 2023. Der nach dem schwedischen Vorbild „Kosläpp“ vom Grünlandzentrum 2016 in Nordwestdeutschland eingeführte und mittlerweile fest etablierte Weideaustrieb findet nach den „Coronajahren“ erstmals wieder als großes öffentliches Event statt. In diesem Jahr öffnet die Familie Wemken aus Wiefelstede ihren Weidemilchhof für die zahlreichen Schaulustigen und interessierten Besucherinnen und Besucher.
Die feierliche Veranstaltung ist nicht nur für Arno Krause, Geschäftsführer vom Grünlandzentrum Niedersachsen/Bremen e.V. und PRO WEIDELAND, eine Herzensangelegenheit, die „Landwirtschaft und Gesellschaft näher zusammenbringen soll“. Auch für die beiden gleichberechtigten Betriebsleiter Holger und Theis Wemken ist der jährliche Weideaustrieb nach der Stallperiode etwas ganz Besonderes: „Die Tiere freuen sich, also freuen wir uns auch – es gehört für uns einfach zum Landschaftsbild dazu, dass sich die Kühe draußen bewegen“.
Bei den Tieren ist die Aufregung bereits am Morgen zu spüren, als sie gefüttert werden. „Die sehen die Sonne und riechen das frische Gras“, so Theis Wemken. Als sich dann gegen Mittag endlich das Tor öffnet, sind die 145 Schwarz- und Rotbunten Holsteins nicht mehr zu halten: Mit glückseligen Bocksprüngen stürmen sie auf die Weide, die direkt an den Hof angrenzt, und bieten den Zuschauern ein unvergessliches Bild purer Lebensfreude. „Diese Freude ist spürbar und überträgt sich auf alle Anwesenden“, freut sich Arno Krause.
Der Weideaustrieb, der neben dem Spektakel der freudigen Milchkühe auch ein buntes Rahmenprogramm für Groß und Klein bereithält, soll einen Ort für Austausch und Dialoge bieten. So freuen sich die Betriebsleiter, dass sie interessierten Besuchern bei ihren Hofrundgängen erklären konnten, wie sie moderne Landwirtschaft mithilfe modernster Technik betreiben, um den Anforderungen von Tier und Mensch gerecht zu werden. „Viele Menschen stellen sich die Frage, warum die Kühe nicht das ganze Jahr auf der Weide stehen. Dass der Boden im Winter nass und rutschig ist und zudem die Futtergrundlage fehlt, weil das Gras nicht mehr wächst, vergessen viele“, so Theis Wemken.
Sobald es die Witterungsbedingungen wieder zulassen, bietet die Weidehaltung bei richtigem Management aber viele Vorteile. Als natürlichste Haltungsform fördert sie das Tierwohl, da sie den Tieren Bewegungsfreiheit, Plätze zum Ruhen und Wiederkäuen sowie mit dem frischen Gras eine natürliche Futtergrundlage bietet. Der zertifizierte PRO WEIDELAND-Betrieb Wemken hat sich bei der Erzeugung und Verarbeitung von Weidemilch den anspruchsvollen Kriterien des Gütesiegels PRO WEIDELAND verpflichtet, bei denen die Kühe an mindestens 120 Tagen im Jahr für mindestens 6 Stunden auf der Weide grasen, die wiederum 2.000 m² Grünland pro Kuh und davon mindestens 1.000 m² Weidefläche umfasst.
Neben dem Tierwohl fördert die Weidehaltung – durch den Erhalt von Grünland – auch die Biodiversität, also die Artenvielfalt, sowie den Umweltschutz. „Weidehaltung ist ein fester Bestandteil der norddeutschen Kulturlandschaft. Doch damit hängt viel mehr zusammen als nur das typische Bild von Kühen auf der Weide“, betont Arno Krause. Aus diesem Grund ist das diesjährige Motto „Weide von der Wurzel auf“ entstanden, das von den Fachschülerinnen und Fachschülern der BBS Varel aufgegriffen und verbraucherfreundlich in einer Wissensgalerie aufbereitet wurde. „Meine Schüler haben die Themen, die sie als Junglandwirte beschäftigen, gemeinsam mit dem Grünlandzentrum ausgearbeitet und freuen sich, dass sie den Besuchern ihre Arbeit und ihre Themen näherbringen konnten“, so Gesa Löblein, Lehrkraft für Landwirtschaft an der einjährigen Fachschule. Der Weideaustrieb diente somit auch als Ort der Wissenschaftskommunikation, bei dem der landwirtschaftliche Nachwuchs in die nachhaltige Milchwirtschaft durch flächengebundene Landwirtschaft einbezogen und der Austausch mit der Gesellschaft gefördert wurde.
Diese wichtigen Themen rund um die Weidehaltung wurden auch von den Gästen der Talkrunde aufgriffen und vertiefend diskutiert. Ausgehend von dem Trend in Richtung Stallhaltung ist es erstrebenswert, die Vielfalt der Produktionssysteme trotz Mehraufwand zu erhalten. Für Holger und Theis Wemken ist die Entscheidung „pro Weideland“ eindeutig: „Das Wohlergehen der Kühe steht an oberster Stelle“. Dabei funktioniert die Arbeit im Vater-Sohn-Gespann meist sehr gut, „wenn man nicht nachtragend ist“, schmunzelt Holger Wemken.
Ottmar Ilchmann, Landwirt und Landesvorsitzender der AbL Niedersachsen/Bremen, erklärt, dass der Weidegang aufgrund von Standortfaktoren wie Betriebsgröße, Niederschlagsmenge und Distanz der Weideflächen zum Hof nicht überall möglich ist. Weidehaltung kann außerdem einen „wirtschaftlichen Ertragsnachteil” mit sich bringen, weswegen das Wissen über Weide durch Veranstaltungen wie den Weideaustrieb gefördert und politische Anreize für diese Form der Grünlandnutzung geschaffen werden sollten.
Karin Logemann (SPD), Mitglied des Niedersächsischen Landtages und Sprecherin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, stimmt zu und macht in diesem Zuge auf die Weideprämie aufmerksam, die jetzt in Niedersachsen beantragt werden kann. „Die Bilder heute waren einmalig schön – meine Vision ist es, Tiere weiterhin auf der Weide zu sehen”. Eine Herausforderung dabei ist es, die Wettbewerbsfähigkeit einer intensiven Milchviehwirtschaft mit dem Wunsch nach einer extensiven Weidehaltung im Sinne des Umweltschutzes zusammenzubringen. Holger Buschmann, Landesvorsitzender des NABU Niedersachsen, erläutert das Ökosystem Weide als Kreislaufwirtschaft und weist darauf hin, dass Weidewirtschaft die Biodiversität fördern und eine Nahrungsgrundlage für bedrohte Feldvögel bieten kann.
Auch für Lasse van Aken steht fest, dass die langfristige Vision von Greenpeace eine Grünland-basierte Milchviehhaltung ist. Er hebt dabei besonders die Bedeutung des PRO WEIDELAND-Labels hervor. „Weidehaltung wird zukünftig mehr kosten – und dieses Geld muss bei den Landwirten ankommen.“ Ralf Hinrichs, Geschäftsführer der Molkerei Ammerland und Hauptsponsor der Veranstaltung, ist als Vertreter der Milchwirtschaft auf der Bühne. Er freut sich, dass Weidemilch am Markt immer mehr Anklang findet, betont aber, dass es bei der Nachfrage noch Luft nach oben gibt.
Am Ende sind sich die Talkgäste, die unterschiedliche Interessen vertreten, in Bezug auf die Weidehaltung einig: Milchkühe sind auf der Weide nicht wegzudenken – für das Landschaftsbild, die Landschaftspflege und viele nicht immer auf den ersten Blick erkennbare Prozesse, die dem Umwelt-, Natur- und Tierschutz dienen können.
Das Gesamtfazit des Tages? „Unser Ziel war und ist es, dass Landwirtschaft und Gesellschaft weniger übereinander und mehr miteinander reden – und dafür war das hier heute ein tolles Beispiel. Die Besucherzahlen haben unsere Erwartungen übertroffen“, so Arno Krause. „Wir hätten nie gedacht, dass sich so viele Menschen für unseren Hof und den Weideaustrieb interessieren – wir sind begeistert”, sagen Holger und Theis Wemken.